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Mad Wallstreet: Kein Einlass für Behinderte
Von Adrian M. Moser. Aktualisiert um 06:37 5 Kommentare
Das Berner Ausgehlokal Mad Wallstreet verweigert Rollstuhlfahrern am Wochenende den Einlass – aus «Sicherheitsgründen». Pro Infirmis sieht das Gleichstellungsgesetz verletzt. Betroffene fühlen sich diskriminiert und prüfen eine Anzeige gegen den Club.
Marco Wyss mit Kollege Jonas Roth vor der Disco, die ein Problem mit seinem Rollstuhl zu haben scheint.
Bild: Valérie Chételat
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Samstagnacht, Anfang September. Ein Mann, der im Rollstuhl sitzt, hat den Abend mit zwei Kollegen im Mad Wallstreet verbracht. Bei der Jackenausgabe bittet ein Security-Mitarbeiter des Ausgehlokals den einzigen Nicht-Rollstuhlfahrer unter den dreien nach draussen. Dort erklärt er ihm, Rollstuhlfahrer hätten am Wochenende ab sofort keinen Zutritt mehr – aus «Sicherheitsgründen». Ausserdem will er, dass der Mann seine Kollegen gleich selber darüber informiert. Auf der Mad-Website steht es weiss auf rot, direkt nach dem Einlassverbot für Velos, Roller und Skateboards: «Rollstühle können an stark frequentierten Tagen aus Sicherheitsgründen nicht eingelassen werden!»
«Verstoss gegen das Gesetz»
Kein Einlass für Rollstuhlfahrer aus Sicherheitsgründen? Mark Zumbühl, Mediensprecher der Behindertenorganisation Pro Infirmis, sagt es deutlich: «Das ist ein klarer Verstoss gegen das Behindertengleichstellungsgesetz.» Dieses besagt: «Private, die Dienstleistungen öffentlich anbieten, dürfen Behinderte nicht aufgrund ihrer Behinderung diskriminieren.» Das Argument der Sicherheit hält Zumbühl für «untauglich». «So könnte man behinderte Menschen vom gesamten gesellschaftlichen Leben ausschliessen. Dann könnten auch die SBB sagen, sie beförderten keine Rollstuhlfahrer mehr, weil diese bei einem Unfall ein Sicherheitsrisiko wären.»
Der Mann, der die Geschichte von Anfang September erzählt, heisst Marco Wyss. Auch er hält die Begründung für das Rollstuhlverbot für «nicht plausibel». «Ich war schon in verschiedenen Ausgehlokalen und ausserdem an Sportanlässen – noch nie gab es irgendein Problem.» Er hält das Sicherheitsargument für einen Vorwand. Er sagt: «Wenn es tatsächlich ein Sicherheitsproblem gäbe, müsste ein solches Verbot ja in allen Clubs gelten. Ich glaube eher, dass die Betreiber des Mad das Gefühl haben, dass sich gewisse Gäste an unserer Anwesenheit stören.»
Appell an den Menschenverstand
Terry Loosli, Vorstandsmitglied der Bar- und Club-Kommission Bern (Buck), sagt, ihm sein kein anderes Lokal in Bern bekannt, das Rollstuhlfahrern den Einlass verweigere. «Wir finden es problematisch, wenn unter dem Vorwand der Sicherheit einer ganzen Bevölkerungsgruppe der Einlass verweigert wird.» Jeder Betrieb müsse ein Sicherheitskonzept haben, und darin müsse auch geregelt sein, wie solche Situationen professionell gehandhabt werden könnten. «Ausserdem erscheinen Rollstuhlfahrer meistens in Begleitung – das entschärft das Problem», sagt er.
Das Behindertengleichstellungsgesetz erlaubt es einem Gericht in Ausnahmefällen, Benachteiligungen zuzulassen – beispielsweise dann, wenn «der für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis zu Anliegen der Betriebssicherheit» steht. Darauf könnte sich das Mad berufen. Loosli sagt: «Wir appellieren an den gesunden Menschenverstand unserer Mitglieder. Dazu gehört, dass sie das Behindertengleichstellungsgesetz nicht zu ihrem Vorteil auslegen sollen.» Das Mad Wallstreet ist als einer von wenigen Berner Clubs kein Buck-Mitglied.
Mad-Chef lässt Fragen offen
Gerne hätte der «Bund» Mad-Geschäftsführer Reto Bucher zu den Vorwürfen Stellung nehmen lassen und ihn Folgendes gefragt: Inwiefern stellen Rollstuhlfahrer in einem Club ein Sicherheitsrisiko dar? Und weshalb gilt die Regelung, der Mad-Website zufolge, nur in Bern, nicht aber im zweiten Mad Wallstreet in Luzern? Bucher bescheidet am Telefon, er habe keine Zeit. Per SMS wiederholt er, was auf der Website steht. Ausserdem schreibt er: «Es geht hier rein um die Wagen und grossen Gegenstände wie Velos und so weiter. Alle und auch Behinderte sind bei uns willkommen.»
Wyss und seine Kollegen lassen sich nicht so einfach abschütteln in dieser Samstagnacht Anfang September. Sie verlangen nach dem Geschäftsführer, der erst «nach langem Hin und Her» auftaucht, um zu bestätigen, was sie soeben erfahren haben: kein Einlass mehr für Rollstuhlfahrer am Wochenende aus Sicherheitsgründen. «Wir waren frustriert und empört. Es kam zu einer hitzigen Diskussion», sagt Wyss heute. Schliesslich droht der Security-Mitarbeiter mit der Polizei, worauf Wyss und seine Kollegen das Areal verlassen.
Betroffene prüfen Anzeige
Pro-Infirmis-Sprecher Mark Zumbühl hält die Mad-Regelung für eine «unhaltbare Ausgrenzung, gegen die man ankämpfen muss». «Der einzige Weg, die Situation zu verbessern, ist, vor Gericht zu gehen», sagt er. Genau das erwägen Wyss und seine Kollegen nun. «Womöglich werden wir Anzeige erstatten wegen Verstoss gegen das Behindertengleichstellungsgesetz», sagt er.
(Der Bund)
Erstellt: 19.10.2012, 06:37 Uhr