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Eppendorf Young Investigator Award 2019
Thalidomid gegen Krebs: Forscher denkt „small molecule“ neu
Ein junger österreichischer Wissenschaftler hat eine bahnbrechende Methode entwickelt, die den zielgerichteten Abbau von Proteinen in vivo ermöglicht. Zudem lässt sie sich offenbar generalisieren. Vollkommen neue Behandlungsstrategien beispielsweise gegen Krebs, erscheinen nun möglich. Dafür erhielt Dr. Georg Winter nun den Eppendorf Young Investigator Award 2019. Den Weg für seine Entdeckung ebnete ein so genanntes kleines Molekül, engl. small molecule, von trauriger Berühmtheit: Thalidomid, der Wirkstoff von Contergan.
Heidelberg, Hamburg – „Wir alle kennen die spektakulären Erfolge in der Arzneimittelforschung wie die zufällige Entdeckung von Penicillin als erstem Antibiotikum“, leitet Prof. Reinhard Jahn, Direktor Emeritus am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie, Göttingen und Vorsitzender der unabhängigen Jury zum Eppendorf Young Investigator Award seine Laudatio für den diesjährigen Preisträger ein. „Angesichts derart spektakulärer Erfolge vergessen wir allzu oft, dass es auch spektakuläre Misserfolge gibt. In einigen Fällen öffnen solche Fehler jedoch die Tür zu völlig neuen und unerwarteten Entdeckungen.“
Contergan-Katastrophe als Wegbereiter
Für den diesjährigen Preisträger Dr. Georg Winter, Gruppenleiter am CeMM-Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien trifft genau das zu. Einer der schlimmsten Vorfälle, der durch ein therapeutisches Medikament verursacht wurde, der Skandal um den Wirkstoff Thalidomid, vielen Deutschen besser als Contergan-Skandal bekannt, ebnete den Weg für seine Forschung, seine bahnbrechende Entdeckung und letztlich nun für seine Auszeichnung mit dem mit 20.000 Euro dotierten Eppendorf Young Investigator Award 2019. Die Preisverleihung fand am 27. Juni 2019 im EMBL Advanced Training Centre in Heidelberg statt.
Die „zweite Karriere von Thalidomid
Contergan erlangte in den 1950er Jahren traurige Berühmtheit als rezeptfrei erhältliches und für Schwangere empfohlenes Beruhigungs- und Schlafmittel. Mit fatalen Folgen. Der Wirkstoff Thalidomid führte in der frühen Schwangerschaft eingenommen vielfach zu schwersten Missbildungen der Föten.
In der Folge war Thalidomid für die Forschung „tot“ – „kein Forscher wagte es, den Wirkstoff anzufassen.“, so beschreibt es Prof. Jahn in seiner Laudatio. Bis in die frühen Neunziger Jahre sollte diese Schockstarre anhalten, dann entdeckten Forscher, dass Thalidomid bei der Behandlung bestimmter Myelome antiangiogen und wirksam ist. Heute werden mehrere Thalidomid-Derivate – sofern eine Schwangerschaft sicher ausgeschlossen werden kann – klinisch zur Behandlung verschiedener Krankheiten wie Lepra und Krebs eingesetzt.
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LP-Info: Der Contergan-Skandal und der Wirkstoff Thalidomid
Doch trotz dieser „zweiten Karriere“ von Thalidomid, blieb das „Warum“, also der molekulare Mechanismus, der fatalen teratogenen wie auch der therapeutischen Wirkung lange unbekannt. Erst 2010 entdeckte eine japanische Arbeitsgruppe das molekulare Ziel von Thalidomid: ein Protein namens Cereblon, kurz CRBN. Cereblon ist ein einzigartiger Substratrezeptor eines Ubiquitin-E3-Ligase-Komplexes, eines Protein-Komplexes, der in der Zelle normalerweise dafür sorgt, dass beschädigte Proteine abgebaut werden.
Therapeutisches Potenzial: Vollkommen neues Wirkprinzip kleiner Moleküle
Thalidomid wirkt offenbar jedoch nicht wie die meisten auf kleinen Molekülen basierenden Medikamente, indem es ein Enzym, einen Rezeptor oder einen Transporter hemmt, sondern indem es das interne Ubiquitin-Proteasom-System, das normalerweise geschädigte Proteine wie eine Art „zelluläre Müllabfuhr“ oder „zelluläre Zerstörungsmaschinerie“ entfernt, gewissermaßen „entführt“ und auf (intakte) Proteine umlenkt, für die sich das System ansonsten nicht interessieren würde.
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V.l.n.r: Dr. Axel Jahns, Vice President eBusiness Eppendorf, Dr. Wilhelm Plüster, Member of the Management Board, CTO, Eppendorf, Jury-Mitglied Prof. Laura Machesky, Dr. Georg Winter, Jury-Mitglied Prof. Maria Leptin sowie Jury-Vorsitzender Prof. Reinhard Jahn bei der Preisverleihung des Eppendorf Award for Young European Investigators 2019 am EMBL Advanced Training Centre in Heidelberg Der Preisträger des diesjährigen Eppendorf Award for Young European Investigators Dr. Georg Winter ist Gruppenleiter am CeMM-Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Mit dem 1995 initiierten Eppendorf Award for Young European Investigators würdigt die Eppendorf AG herausragende Forschungsarbeiten auf dem biomedizinischen Sektor und fördert damit junge Wissenschaftler in Europa bis zum Alter von 35 Jahren.
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Der 34-jährige Dr. Georg Winter hat im Rahmen seiner Forschung, die zu einer Publikation in Science führte [1] nun eine Methode entwickelt, wie sich auf Basis von Thalidomid-Derivaten bzw. heterobifunktionellen chemischen Verbindungen für ein Krankheitsgeschehen relevante Proteine sehr gezielt im Körper abbauen lassen. Die theoretisch nahezu generelle Anwendbarkeit dieses Prinzips hat enormes therapeutisches Potenzial für die Behandlung von Krebs beispielsweise von Leukämien, aber auch von anderen schwer therapierbaren Krankheiten wie neurodegenerativen Erkrankungen, einige Entzündungen oder Infektionen.
Die heterobifunktionellen Moleküle erlauben die gleichzeitige Bindung an zwei verschiedene Proteine: an das krankheitsverursachende Protein und an die E3-Ubiquitin-Ligase. Die Arzneimittelbindung induziert die molekulare Nähe beider Proteine und damit die „Entführung“ der E3-Ligase zu Polyubiquitinisierung – dem molekularen Signal dafür, dass das Zielprotein über das Proteasom abgebaut wird. „Die meisten krankheitsverursachenden Proteine haben keine definierte biochemische Aktivität, die über ein kleines Molekül blockiert werden kann. Für viele von ihnen wird es jedoch möglich sein, niedermolekulare Liganden zu entwerfen. Diese binden lediglich an die Proteine und dienen so als Ankerpunkt für die E3-Ligase-Rekrutierung“, erklärt der Preisträger
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Zur Person: Dr. Georg Winter
„Dieses leistungsstarke System ermöglicht den Zugang zu Proteinen, die mit konventionellen pharmakologischen Methoden nicht erschließbar sind, und somit neue Behandlungsstrategien. Vielversprechende Resultate wurden sowohl in Zellkulturmodellen, als auch in vivo Modellen erzielt,“ so die Jury. Georg Winters Arbeit hat für großes Aufsehen in der pharmazeutischen Industrie gesorgt, spiegelt sich in etlichen Patenten wieder. „Das Paper gehört zu dem Top-1% der derzeit am häufigsten zitierten Publikationen und hat Unternehmen in der Arzneimittelentwicklung dazu veranlasst, Programme im Wert von mehreren Milliarden Dollar aufzulegen“, so der Laudator Prof. Jahn. Erste klinische Untersuchungen am Menschen laufen an.
Zielgerichteter Proteinabbau ist „radikal andere Methode in der Medikamentenentwicklung“
Georg Winter: „Ich fühlte mich unglaublich geehrt, als ich vom Gewinn des Eppendorf Award 2019 erfuhr. Dieser Preis würdigt unsere Arbeit an der Entwicklung einer generalisierbaren Methode für den gezielten Proteinabbau in vivo. Der zielgerichtete Proteinabbau ist eine neue und radikal andere Methode in der Medikamentenentwicklung. Wir erhoffen uns, dass durch diesen Ansatz zusätzliche krankheitsrelevante Proteine erschlossen werden können und somit neuen Therapien der Weg geebnet wird. Mein Beitrag zu diesem spannenden Thema wäre ohne die wegweisende Arbeit geschätzter Kollegen, den großartigen Support meiner Mentoren sowie die enge und erfolgreiche Zusammenarbeit mit meinem Team nicht möglich gewesen.“
Mit dem 1995 initiierten Eppendorf Award for Young European Investigators würdigt Eppendorf herausragende Forschungsarbeiten auf dem biomedizinischen Sektor und fördert damit junge Wissenschaftler in Europa bis zum Alter von 35 Jahren. Der Eppendorf Award wird in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsmagazin Nature verliehen. Über die Vergabe entscheidet eine unabhängige Jury, bestehend aus
Prof. Reinhard Jahn (Direktor Emeritus am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie, Göttingen),
Prof. Dieter Häussinger (Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Düsseldorf),
Prof. Maria Leptin (EMBO, Heidelberg),
Prof. Martin J. Lohse (Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft, Berlin) und
Prof. Laura Machesky (Cancer Research UK Beatson Institute, Glasgow, UK).
Weitere Informationen zu Bewerbungsmodalitäten, Auswahlkriterien und bisherigen Preisträgern finden Sie hier.
Publikation:
[1]: Winter, G. E., Buckley, D. L., Paulk, J., Roberts, J., Souza, A., De-Phagano, S., and Bradner, J. E. (2015) Phthalimide Conjugation as a Strategy for in vivo Target Protein Degradation. Science 348, 1376-81.