nocontergan schrieb:
Hallo,
nun noch ein Beitrag des WDRs. Allerdings hörte ich es heute nur
unvollständig so gegen elf in WDR 2. So begab ich mich auf die
Suche und fand den genialen Wortbeitrag vom Wortkabarettisten
Wilfried Schmickler auf der WDR2-Website.
Der direkte Zugang zum Wortbeitrag befindet sich hier.
Meine Meinung: UNBEDINGT anhören
Eine Kollegin sprach mich jetzt auch auf die "GT-Entschuldigung" an und wir
kamen ins Gespräch. Ich erzählte auch vom "Schmickler-Beitrag" und das
leider die Gehörlosen nicht in den Genuss kommen. Darauf bat sie mich, ihr
den Audio-Beitrag mal zuzusenden. Keine Stunde später, bekam ich nach-
folgenden Text zurück, denn meine liebe Kollegin ließ bei einem besonderen
"Diktat" ihr Finger als Sekretärin fliegen:
liebe Kollegin schrieb:
Heute ist Montag. Es ist allerhöchste Zeit für die Montagsfrage und die lautet: „Was ist eigentlich eine „stumme Erschütterung“?“
Nun, eine „stumme Erschütterung“ ist dem Wortsinn nach eine Erschütterung, die nicht sprechen kann. Aus welchen Gründen auch immer. Sei es, dass die Erschüt-terung so groß ist, dass es ihr komplett die Sprache verschlagen hat oder sei es, dass so eine Erschütterung einfach nicht die richtigen Worte findet, um ihr ganzes Ausmaß zu artikulieren.
Wie in der erschütternden Rede, die der erschütterte Geschäftsführer der Grünen-thal GmbH jetzt anlässlich der Enthüllung eines Denkmals für die Toten und Ge-schädigten der Contergan-Katastrophe in Stolberg gehalten hat. Und zwar ein halbes Jahrhundert nachdem die Firma Grünenthal das Schlafmittel Contergan auf den Medikamentenmarkt geworfen hat. Damals übrigens mit dem Werbeslogan: „Contergan, so unschädlich wie ein Zuckerplätzchen!“ Ein Zuckerplätzchen, das erst 5 Jahre nach seiner Erstverschreibung wieder vom Markt genommen wurde, nachdem alleine in Deutschland 5.000 Säuglinge mit schweren Missbildungen auf die Welt gekommen waren.
Und die haben jetzt ein Denkmal bekommen. Für 5.000,00 Euro! Die hat die Firma Grünenthal großzügigerweise aus der Portokasse bezahlt, weshalb ihr Geschäfts-führer dann auch bei der feierlichen Enthüllung eine Rede halten durfte. Ich zitiere: „Wir bitten um Entschuldigung, dass wir 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen von Mensch zu Mensch gefunden haben.“ Wobei dieser Weg naturgemäß sehr lang und sehr steinig ist, wenn der eine Mensch der Täter und der andere das Opfer ist.
Und diese Opfer kämpfen bis heute um eine angemessene finanzielle Unterstüt-zung bei der Bewältigung ihres von übergroßen Anstrengungen und Entbehrun-gen geprägten Alltags.
Aber jetzt haben sie sich ja entschuldigt, die Zuckerplätzchenhersteller. Nach einem halben Jahrhundert. Warum das so lange gedauert hat? Ich zitiere noch einmal den Geschäftsführer: „Nehmen Sie die lange Sprachlosigkeit als Zeichen der stummen Erschütterung, die Ihr Schicksal bei uns bewirkt.“
Dieselben Leute, die noch vor 5 Jahren ihre gesamte Rechtsabteilung in Marsch gesetzt haben, um die Ausstrahlung einer WDR-Produktion über den Contergan-Skandal zu verhindern, stellen sich neben so ein läppisches Denkmal und erzäh-len Einen von „stummer Erschütterung“. Ich seh‘ sie so richtig vor mir, wie sie da in der Chefetage sitzen: Vor sich die finanziellen Forderungen der Opfer und in sich diese unglaublich tiefe Betroffenheit über die bedauernswerten Schicksale, die sie verursacht haben. Wahrscheinlich sind sie nicht mal in der Lage, sich die For-derungen durchzulesen, weil sie dann wieder so erschüttert werden, dass sie für den Rest des Tages die Sprache verlieren.
Oder, sie sagen Sätze wie: „Wir haben begonnen, Projekte zu entwickeln, um die Betroffenen auch in Notlagen unkompliziert und unbürokratisch zu unterstützen.“
50 Jahre geschwiegen und dann schön geredet.
Oder, wie die Opfer sagen würden: „Einmal in die hohle Hand gespuckt!“
Viel Spaß beim Lesen
Gruß Markus
Danke dir lieber Markus und deiner Kollegin
Kommen nochmal gerne auf ihre Hilfe zurück .