Gefahr auf dem Örtchen
München - Detlef Kelm (65) aus München sitzt im Rollstuhl, ist aber sehr aktiv. Mittlerweile traut er sich nicht mehr in die Fußgängerzone, weil die Toilette dort zur Falle werden könnte.
© Westermann
Detlef Kelm und Bürgeranwalt Gaiser überprüfen die Toilettentür am Stachus
In Artikel drei des Grundgesetzes steht: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Natürlich versuchen wir diesem Gesetz Genüge zu tun. Behörden haben behindertengerechte Ein- und Aufgänge, auf öffentlichen Plätzen gibt es Behindertentoiletten, und Behinderte bekommen finanzielle Unterstützung.
Wie sieht es aber mit behinderten Kindern und ihrer Integration in die Gesellschaft aus? Die Eltern dieser Kinder können ein trauriges Lied davon singen. So ist in Bayern beispielsweise die Inklusion inzwischen offiziell geregelt. Das heißt, dass behinderte Kinder mit Nichtbehinderten in die gleiche Schule gehen dürfen. Die befürchteten Proteste der Eltern nichtbehinderter Kinder blieben bisher weitgehend aus. Trotzdem gelingt es nur wenigen Eltern, ihre behinderten Kleinen in eine normale Schule zu schicken. Der Grund ist ganz einfach: Es fehlt am Geld. Ein behindertes Kind in einer normalen Schulklasse bedeutet nämlich nicht nur besonders ausgebildete Lehrkräfte, sondern möglicherweise auch eine zusätzliche Person, die dem behinderten Kind hilft, den Schulalltag zu bewältigen. Für dessen Bezahlung aber fühlt sich niemand zuständig: Der Staat verweist auf die Länder, die Länder auf die Kommunen und die auf private Schulträger, die dann wieder argumentieren: „Wer anschafft, zahlt“. So beißt sich die Katze in den Schwanz.
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Auch wenn Behinderte also von der Gesellschaft nicht „benachteiligt werden dürfen“, so sind sie es doch. Selbst bei Kleinigkeiten, wie der Behindertentoilette, um die es auf dieser Seite geht. Wenn ihre Tür nicht funktioniert, ist der Zuständige kaum zu finden. Bei einem normalen Aufzug ist das ganz anders. In ihm ist die Telefonnummer des Reparaturdienstes gut leserlich angeschlagen.
Ihr Dietmar Gaiser
Ich sitze seit fünf Jahren im Rollstuhl. Trotzdem bin ich noch sehr aktiv und versuche, mich so viel zu bewegen wie nur möglich. Zu meinen liebsten Spazierfahrten gehören die durch Münchens Fußgängerzone bis hin zum Stachus. Dort traue ich mich aber seit einiger Zeit nicht mehr hin. Wenn ich dort nämlich die Behindertentoilette im Untergeschoss benutze, werde ich unter Umständen eingesperrt. Der elektrische Öffnungsmechanismus für die Tür funktioniert nämlich oft nicht, und ich muss die schwere eiserne Tür dann mühsam vom Rollstuhl aus aufdrücken. Das ist eine akrobatische Leistung. Die Arme sind nämlich zu kurz, um die Tür im Sitzen zu erreichen, also muss ich mich weit nach vorne beugen. Wenn dann die Tür einen Spalt auf ist, muss ich den Rollstuhl nachrücken, fixieren und wieder ein Stückchen drücken. Seit eineinhalb Jahren beschwere ich mich. Immer wieder wird Abhilfe versprochen. Und immer wieder werde ich eingesperrt. Bitte helfen Sie mir!
Detlef Kelm (65) aus München
Unser erster Anruf galt der Stadtverwaltung München. Dort wurden wir von Referat zu Referat weitergereicht, bis sich herausstellte, dass nicht die Stadt, sondern eine Immobiliengesellschaft für das Stachusuntergeschoss zuständig ist. Aber auch als wir dort anriefen, konnte uns nicht geholfen werden. Die Toiletten sind nämlich weiterverpachtet an eine Gesellschaft, deren Sitz gar nicht in München ist. Trotzdem schickte diese Firma, nachdem wir mit ihr telefoniert hatten, umgehend einen Techniker in die Toilette. Der Fachmann bestätigte, dass sich „der Türöffner immer wieder aufhängt und dann nicht mehr automatisch aufgeht“. Er veränderte deswegen die Einstellung und hofft nun, dass der Fehler nicht mehr auftaucht.
Das hofft auch Detlef Kelm. Als wir mit ihm unterm Stachus waren, um nachzuprüfen, ob die Tür nun geht, funktionierte sie einwandfrei. „Eineinhalb Jahre kämpfe ich darum, dass die Tür so eingestellt wird, dass sie automatisch aufgeht. Erst der Bürgeranwalt hat es geschafft“, freute sich Kelm. Übrigens ist die Behindertentoilette unterm Stachus – von dem Ärger mit der Tür abgesehen – vorbildlich gestaltet. Aber was nützt das, wenn man in ihr eingesperrt ist?