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Süddeutsche 20.11.2013
Contergan-Opfer in Spanien sollen entschädigt werden
Der Konzern habe von der Schädlichkeit des Wirkstoffs Thalidomid gewusst und das Medikament Contergan dennoch in Spanien vertrieben. Deshalb ist der deutsche Pharma-Konzern Grünenthal nun von einem Madrider Gericht zu Entschädigungs-Zahlungen an Contergan-Opfer verurteilt worden.
Der frühere Contergan-Hersteller Grünenthal soll zahlreiche Opfer des Wirkstoffes Thalidomid in Spanien entschädigen, durch den Tausende Kinder Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahren Fehlbildungen erlitten. Wie an diesem Mittwoch bekannt wurde, hatte ein Gericht in Madrid die deutsche Pharmafirma tags zuvor in erster Instanz zur Zahlung von 20.000 Euro Schadenersatz je Prozentpunkt des offiziell anerkannten Behinderungsgrads der Opfer verurteilt.
Der Gesamtbetrag wurde im Urteil, gegen das noch Berufung eingelegt werden kann, nicht genannt. Nach Angaben des spanischen Opferverbands Avite wurden aber bis zu 3000 Menschen in Spanien Opfer des Wirkstoffs, der in Deutschland unter dem Namen Contergan verkauft wurde. Viele der Geschädigten sind bereits gestorben. Avite hatte in dem Prozess insgesamt 204 Millionen Euro für die noch lebenden Opfer gefordert. Die Summe sollte entsprechend dem Behinderungsgrad aufgeteilt werden.
Nach Angaben von Grünenthal-Sprecher Frank Schönrock betrifft das Urteil in Madrid weniger als 20 Menschen. Das Gericht habe die Schadenersatzansprüche aller weiteren Mitglieder des Avite-Verbandes zurückgewiesen, sagte er auf AFP-Anfrage. Die genaue Höhe der geforderten Kompensationszahlungen stehe noch nicht fest.
Entscheidung von Grünenthal steht noch aus
"Grünenthal ist enttäuscht über das Urteil", erklärte der Sprecher. Schließlich liege die Markteinführung von Thalidomid mehr als 50 Jahre zurück. "Grünenthal ist überzeugt, dass alle Aktivitäten mit dem damaligen Stand der Forschung und den geltenden Entwicklungs- und Prüfungsstandard der pharmazeutischen Industrie im Einklang standen."
Das Unternehmen will den Richterspruch nun ausführlich prüfen und anschließend über das weitere Vorgehen entscheiden. Zugleich äußerte Schönrock das tiefe Bedauern der Aachener Firma über die Thalidomid-Tragödie, die immer Teil der Unternehmensgeschichte bleiben werde.
Das Gericht in Madrid habe in dem Urteil auch anerkannt, dass in Spanien zahlreiche andere Unternehmen ihre eigenen thalidomidhaltigen Produkte unabhängig von Grünenthal produziert und vermarktet hätten. "Grünenthal kümmert sich um die Thalidomid-Betroffenen und wird dies auch in Zukunft tun", versicherte der Sprecher. Grünenthal hatte sich erst im September 2012 nach langem Schweigen für das Desaster entschuldigt.
Weltweit waren 10.000 bis 20.000 Kinder betroffen
Weil sie im Mutterleib Thalidomid ausgesetzt waren, kamen Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre weltweit schätzungsweise 10.000 bis 20.000 Kinder mit Fehlbildungen zur Welt. Ursprünglich als Schlaf- und Beruhigungsmittel vermarktet, wurde der Wirkstoff ab Ende der 1950er Jahre weltweit auch als Mittel gegen Schwangerschaftsübelkeit verschrieben. Dadurch brachten einige Frauen Kinder mit massiven Fehlbildungen und fehlenden Gließmaßen zur Welt.
In Deutschland lief das Medikament unter dem Namen Contergan, es wurde Ende 1961 vom Markt genommen. In Spanien und anderen Ländern dauerte es danach noch mehrere Monate, bevor Thalidomid-Medikamente verboten wurden.