Das müsst ihr euch unbedingt durchlesen . :thanks:
"Wir sind alle behindert" - 16.07.2010 - 0 Kommentare
Niko von Glasows ARD-Film "NoBody's perfect" (Di., 10.8., 22.45 Uhr) ist ein mutiger Dokumentarfilm, der bewegt
Von Rupert Sommer
Ein körperbehinderter Filmemacher bringt elf Contergan-Geschädigte dazu, sich mit ihm vor der Kamera ausziehen. Im Interview schildert Niko von Glasow seine Beweggründe.
© Palladio Film
"Wir sind alle Behinderte": Niko von Glasow macht sein eigenes Contergan-Schicksal zum Thema eines Dokumentarfilms."Meine größte Angst ist es, in der Badehose an den Strand zu gehen", sagt Niko von Glasow, ein Contergan-geschädigter Filmemacher. Also war ihm klar, dass es für ihn die größte Herausforderung darstellen würde, sich nackt vor der Kamera zu zeigen. In seinem bewegenden Dokumentarfilm schildert er, wie es ihm gelang, elf körperbehinderte "Contis" dazu zu bewegen, sich mit ihm für eine mutige Foto-Aktion abbilden zu lassen. Der vom WDR produzierte Film wird am Dienstag, 10. August, um 22.45 Uhr im Ersten ausgestrahlt. Im Interview erklärte der Regisseur, der schon mit dem NS-Film "Edelweißpiraten" für Furore sorgte, was ihn zu dem Filmprojekt bewegte.
© WDR / Niko von Glasow
Fotos voller Würde: BBC-Radiomoderator Fred Dove ließ sich dazu überreden, vor der Kamera zu posieren.teleschau: Herr von Glasow, Sie sind selbst Contergan-Geschädigter, trotzdem ist es nicht selbstverständlich, in einem Film so viel Privates nach außen zu kehren. Wie kamen Sie auf die Idee?
Niko von Glasow: Zunächst wollte ich diesen Film überhaupt nicht machen. Der WDR hatte mir vorgeschlagen, einen Dokumentarfilm über das Thema Contergan zu machen. Damals hatte ich ziemlich lautstark protestiert und gesagt, dass ich schließlich Spielfilmregisseur sei und mich nicht auf die Schiene des Behinderten schieben lasse. Als ich meiner Frau abends von dem Vorschlag erzählte, hat sie nur gesagt: Niko, es wird Zeit, dass du dem Teufel in den Hintern guckst. Dann haben wir uns gemeinsam diesen Plot ausgedacht.
© WDR / Niko von Glasow
In "NoBody's perfect" geht es um den mutigen Umgang mit der eigenen körperlichen Versehrtheit. Beim Fotoshooting stand Filmemacher Niko von Glasow (links) selbst vor der Kamera.teleschau: Wie sahen Ihre ersten Ideen zum Film aus?
Niko von Glasow: Meine Frau ist Drehbuchautorin und hat mich einfach mal gefragt, wer denn in einem Film zum Thema Contergan vorkommen könnte. Wer könnte denn der Held dieses Films sein, fragte sie mich. Mir fiel niemand ein. Und da sagte sie: "Natürlich musst du in diesem Film auftreten." Beim Spielfilm stellt man sich zunächst ja die Frage: Was ist die größte Angst des Helden? In diese Angst muss man den Helden hineinschicken. Nach und nach kamen wir der Sache näher: Meine größte Angst ist es tatsächlich, in der Badehose an den Strand zu gehen. Und daraus ist die Idee entstanden, dass ich in meinem Film die "nackte Wahrheit" zeigen muss - und elf andere überrede, das Gleiche zu tun.
teleschau: Kein kleiner Schritt für Sie und die anderen ...
Niko von Glasow: Ich habe den Fakt, dass ich behindert bin, lange verdrängt. Wenn man ein Problem hat und krampfhaft versucht, es zu verdrängen, dann kann man es nur überwinden, wenn man es veröffentlicht. Wer zum Beispiel Alkoholiker ist, muss sich bei den Anonymen Alkoholikern als Erstes dazu in versammelter Runde bekennen. Das Veröffentlichen einer eigenen Schwäche ist der wichtige Teil eines Bewältigungsprozesses.
teleschau: Da hat Ihnen Ihre Frau ganz schön viel Mut abverlangt. Wie lange haben Sie gezögert, ob Sie sich doch nicht wieder aus ihrem Film heraushalten sollten?
Niko von Glasow: Nun ja, ich bin Profi. Und wenn ich einmal sozusagen unterschrieben habe, dann stehe ich auch dazu. Die Nacht vor dem Foto-Shooting quälte mich sehr. Dann habe ich mir noch einmal alles Mögliche überlegt, wie ich da vielleicht doch noch darum herumkomme. Als ich mich dann wirklich vor der Kamera ausgezogen hatte, war es gar nicht mehr so schwer. Das war, wie ins kalte Wasser zu springen: Wenn du es dann endlich mal tust, macht es sogar Spaß. Die Angst vor dem kalten Wasser ist das Schwierigste.
teleschau: Bei einigen Ihren Gesprächspartnern im Film wirkt es fast, als ob Sie mit Ihrer Idee offene Türen eingerannt hätten. Haben Sie nicht zunächst mit viel größerer Entrüstung auf Ihr Ansinnen gerechnet?
Niko von Glasow: Erst war ich natürlich auch verblüfft. Aber dann kam schnell mein professioneller Ehrgeiz durch: Mein Job als Regisseur ist es ja, Menschen zu überreden, Dinge zu tun, die sie normalerweise nicht tun würden. Ich verspreche Ihnen: Wenn Sie mir drei Minuten geben, könnte ich auch Sie überreden, sich nackt vor einer Fotokamera ausziehen.
teleschau: Das halten wir für ein Gerücht ...
Niko von Glasow: Wenn Sie irgendein Anliegen haben, etwa engagiert sind für die Tibeter oder Amnesty International? Oder angenommen, Ihr Kind hat Krebs. Dann sage ich Ihnen: Wenn Sie sich nackig fotografieren lassen und es gelingt uns, dass wir mit diesem Kalender wirklich etwas für Ihr Anliegen bewegen, machen Sie dann mit? Natürlich machen Sie mit. Wer wirklich etwas auf dem Herzen hat, würde sich für jeden guten Zweck ausziehen.
teleschau: Vielen der Contergan-Geschädigten, die sie überzeugen konnten, ging es gar nicht um etwas derart Abstraktes, sondern um etwas sehr Persönliches - ihr eigenes Leid.
Niko von Glasow: Ja, natürlich. Unser Anliegen war sehr direkt - es ging mir um die Überwindung unserer Angst. Und wer wollte nicht, seine größte Angst besiegen?
teleschau: Im Film heißt es einmal, es sei gar nicht ihr behinderter Körper, der sie so sehr beschäftigt. Es fällt der Ausdruck von der "muffigen Seele", die Sie belastet ...
Niko von Glasow: Ich glaube, dass wir Menschen alle behindert sind. Nur in meinem Fall sieht man es besser. Die körperliche Fehlerhaftigkeit beschäftigt uns alle. Doch die seelischen Verletzungen, die wir auch alle haben, sind eigentlich viel schwerwiegender. Mein Körper stellt ein Problem da, das will ich gar nicht leugnen. Aber meine Seele ist mir viel wichtiger. An meinen Armen kann ich nichts ändern, an meiner seelischen Verfassung durchaus.
teleschau: Hat denn dann der Film für Sie und Ihre Mitstreiter etwas bewirkt?
Niko von Glasow: Ja, sehr. Ich bin viel fröhlicher geworden. Die Verdrängung der Behinderung hat bei mir vorher vieles ausgelöst, was man Depressionen nennen könnte. Das Offenlegen der Wahrheit hat mich leichter gemacht.
teleschau: Ist es denn also möglich, dass Filme therapeutisch, wenn nicht sogar selbst-therapeutisch wirken können?
Niko von Glasow: (lacht) Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals so einen Film drehen würde. Früher hatte ich es immer verachtet, wenn Regisseure Filme machen, um sich selbst zu therapieren. Jetzt habe ich es selbst gemacht - und bin zufrieden mit mir. Natürlich sind das Schauspielern und jegliche künstlerische Arbeit unglaublich wirkungsvoll und therapeutisch. Das ist das doch Tolle an meinem Beruf.