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Brigitte - Contergan und meine Kindheit

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Brigitte - Contergan und meine Kindheit


Ich bin jetzt mittlerweile 50 Jahre alt, aber einige Erlebnisse, die ich als "ein Contergankind" hatte, lassen mich noch immer nicht los. Aber ich fange jetzt erstmal am Anfang an:

Der größte Traum meiner Mutter war es immer, Schneiderin zu werden.

Sie hatte sich eine Ausbildungsstelle gesucht.

Eine solche gab es allerdings nur in einer anderen Stadt und meine Mutter brauchte eine elektrische Nähmaschine, die sie selber zahlen sollte. Meine Großeltern hatten leider kein Geld dafür.

Da meine Familie in Stolberg wohnte, hatte sich meine Mutter eine Arbeit bei Chemie Grünenthal genommen. Da traf sie auch meinen "biologichen Erzeuger". Er war schon älter und hatte meiner Mutter, die unerfahren und naiv war, den Kopf verdreht und dabei bin ich dann entstanden.

Meine Mutter hatte am Fließband gestanden und die Tabletten verpackt, unter anderem auch "Contergan".

An einem Tag stand sie da und es ging ihr nicht gut....

Da meinte ihr Abteilungsleiter, sie sollte doch mal zum Arzt gehen, was sie auch tat. Der Arzt war ein Betriebsarzt von Grünenthal und ich glaube auch von den Dali Werken.

Dieser Arzt gab ihr dann Contergan. Weil es ihr schlecht ging, hatte sie "eine einzige Tablette" genommen.

Ich habe ihr das, ehrlich gesagt, nie geglaubt. Ich dachte immer, eine Tablette kann doch nicht so viel Schaden anrichten. Als ich dann älter wurde,ist es mir mehr und mehr bewusst worden.

Naja wer weiß, wieviel sie eingeatmet hat. Erst nachdem ich andere Mütter gehört hatte, die das Gleiche erzählten, da dachte ich, da ist doch was Wahres dran. Mit meiner Mutter konnte ich bis vor ein paar Jahren nicht über das Thema Contergan sprechen. Aber das geht mir auch fast heute noch so.

Meine Fragen tun meiner Mama nur weh und wenn ich merke, es wird ihr zu viel, dann bohre ich auch nicht mehr weiter. Beim letzten Telefonat hatte sie geweint und ich fühlte mich total hilflos am Telefon.

Aber hier ist nun der Anfang von meinem "Contergan Leben".

Ich wurde im September 1959 in Stolberg -Atsch geboren, meine Mutter war 17 Jahre alt.

Weil meine Mutter arbeiten musste, haben meine Großeltern auf mich aufgepasst und mich großgezogen bis ich zur Schule kam. Bis dahin hatte ich eine harmonische Kindheit.

Dann kam ich zur Schule und zog zu meiner Mutter in ein kleines Dorf nach Bardenberg.

Dort hatte ich keinen leichten Stand als Langfinger, „Krüppel“, und was sie noch an Schimpfwörtern für mich fanden. Ich rede hier von Kindern, die mir diese Schimpfwörter hinterher riefen.

Ich bin dann heulend nach Hause gelaufen, weil ich diese Gemeinheiten von anderen Kindern nicht kannte und mir das sehr wehtat.

In Stolberg hatte ich meine Freunde mit denen ich aufgewachsen bin. Da war es egal, ob ich lange Finger hatte oder nicht. Hier war alles anders. Das bekam ich dann auch zu spüren als ich eingeschult wurde.

Ich weiß noch, ich hatte mich so auf die Schule gefreut. Mein Opa meinte zu mir: "dann lernst du Schreiben und Lesen. Du musst schön mitmachen, dann steht dir die Welt offen".

Als ich dann endlich in die Schule kam, hatte ich das Problem, das ich mit dem Tempo beim Schreiben, aufgrund meiner Conterganschädigung, nicht mitkam. Da kam ich auf die "Beklopptenschule", wie Kinder das nannten. schaute mich an und meinte zu mir: "Wenn ein Kind sowas zu dir sagt, verprügele es".

Das tat ich dann auch....

Ich habe dann so einen seelischen Knacks bekommen, so dass ich nicht mehr geredet habe.

Meine Mutter ist dann mit mir zum Arzt gegangen und der hat mich dann in ein Krankenhaus gesteckt. Da war ich 8-9 Jahre alt. Meine Mutter durfte mich da nicht besuchen.

Eines Tages kam dieser „Drache von Schwester“ an und meinte ich sollte mitkommen was ich dann auch tat.

Ich wurde in einen riesigen Raum geführt, in dem ein Bett stand. Der „Drache“ befahl, ich sollte mich nackt ausziehen und mich auf das Bett legen. Ich habe mich dann bis auf Hemd und Hose ausgezogen.

Nach gefühlten Stunden sprang die Tür auf und der Drache war wieder da. Sie meinte zu mir: "du hast ja noch immer was an". Sie zerrte mir Hemd und Hose runter und verschwand dann wieder.

Ich lag da splitternackt. Nach nochmal gefühlten Stunden sprang wieder die Tür auf und ein Professor und so ca, 30 Studenten strömten herein. Ich weiß nicht was die geredet haben, aber der eine nahm meine Hand, ein anderer ging an meine Füße oder meine Beine. Die haben sich über mich hergemacht, als ob ich ein lebloses Stück Fleisch bin. Ich war nur am weinen.

Danach wurde ich entlassen und habe dann noch weniger gesprochen. Meine Mutter hat sich dann noch mehr Sorgen gemacht und ist mit mir zum Psychiater gegangen, der mich dann nach einigen Sitzungen in die Kinderklinik nach Bonn eingewiesen

hatte.

Dort wurde mir meine ganze Kleidung weggenommen und ich musste Anstaltskleidung tragen. Da war ich wieder ein Versuchskaninchen. Das wusste ich aber da noch nicht.

Ich weiß noch, wir Kinder hatten jeden Morgen Angst, ob wir was zu Essen bekommen oder nicht.

Nichts zu Essen hieß, du wurdest abgeholt und warst dann für 3 Tage verschwunden. Das hieß, du hast eine "Enze" bekommen. Wir Kinder hatten da unwahrscheinliche Angst davor.

Es war wieder ein Morgen und ich bekam nichts zu Essen und wurde abgeholt.

Ein Pfleger kam an mein Bett und meinte, ich sollte auf die Bahre klettern. Ich habe mich gewehrt - mit Händen und Füßen. Er nahm mich einfach und hat mich mit Händen und Füßen festgeschnallt und ab ging die Fahrt über einen grauen Innenhof. Weil es regnete, hatte er die Decke über meinen Kopf gezogen. Ich hatte geschrien. Das hatte aber alles nichts genutzt. Dann wurde ich in einen Raum geschoben und da standen alles vermummte Leute, die mir befahlen, mein Nachthemd und schon wieder meine Unterhose auszuziehen.

Dann musste ich mich nach vorne beugen. Im selben Moment spürte ich den schlimmsten Schmerz meines kleinen Lebens. Danach weiß ich nichts mehr.

Ich wurde dann wach und habe gebrochen und konnte meinen Kopf nicht bewegen. Kurz danach kam ich dann noch verstörter nach Hause.

Seitdem habe ich eine Abneigung gegen Ärzte, die ich nicht kenne.

Diese Geschichte habe ich so geschrieben, wie ich es als Kind erlebt und mich daran erinnern kann.

Brigitte - Contergan und meine Kindheit




Brigitte Speer

Letzte Änderung am Dienstag, 24 April 2012 02:09
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