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THEMA: 8. Mai 1945 – 8. Mai 2020

8. Mai 1945 – 8. Mai 2020 08 Mai 2020 11:31 #46944

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kobinet-nachrichten.org/2020/05/08/8-mai-1945-8-mai-2020/



Kiel (kobinet) Maren Nitschke-Frank und Gerda Behrends von der Initiative Autonom Leben Schleswig-Holstein haben sich zum heutigen 75jährigen Geden an das Kriegsende und damit an die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus Gedanken über die Umgehensweise mit Menschen mit Behinderung in der Nazizeit und die mangelhafte Aufarbeitung danach gemacht.
Beitrag von Maren Nitschke-Frank, Gerda Behrends,

Über die Ermordung von Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und Homosexuellen während der NS-Zeit wird viel berichtet, vergessen werden meistens Menschen mit BEHINDERUNG. Sie wurden als „minderwertig“ angesehen, als „lebensunwertes Leben“ vernichtet. An ihnen wurden medizinische Versuche mit dem Nervengas Cyclon B als Vorstufe zur Vergasung von Juden vorgenommen („T4-Aktion“). Zur sogenannten Verhütung erbkranken Nachwuchses wurden sie zwangssterilisiert. Dies betraf auch gehörlose Menschen.

Die Erforschung der Zeitgeschichte nach 1945 ließ das Thema Medizinverbrechen während der NS-Zeit links liegen. Erst in den 1970er Jahren hat der Journalist und Schriftsteller Ernst Klee diese bis dahin unbekannten Medizinverbrechen im Nationalsozialismus bekannt gemacht. Auch kritisierte er die mangelhafte Strafverfolgung. Seine Publikationen sind u.a.: „Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer“ und „Euthanasie im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens“.

In den Köpfen der Bevölkerung gab es nach 1945 das Bild vom „minderwertigen Idioten“, vom „Krüppel“. Behinderte wurden weggesperrt, hatten kein Recht auf ein eigenständiges Leben, lebten in Heimen meist außerhalb von Orten, sie wurden „verwahrt“. Bildung, also Schulbildung, gab es erst in den 1960er Jahren, und das außerhalb von Orten in Internaten und getrennt von der Familie.

2 Beispiele zeigen den Umgang mit Menschen mit Behinderung nach 1945:

1. Der Film „Der Pannwitzblick“ von Didi Danquart und Udo Sierck. Der Film zeigt u.a. die entwürdigende medizinische Untersuchung der Juristin und Contergan-Geschädigten Theresia Degener als Kind durch Ärzte und vor Studenten - mit Armstümpfen und nackt.

Contergan (Wirkstoff: Thalidomid) wurde bis Ende der 1950er Jahre rezeptfrei auch an Schwangere als Schlaf- und Beruhigungsmittel verabreicht. Es kam zu Schädigungen an Föten in der Wachstumsentwicklung. Die Firma Grünenthal GmbH nahm erst Ende 1961 das Medikament vom Markt, bestritt aber den Zusammenhang zwischen Contergan und den Behinderungen. Durch Klageverzicht und Entschädigung von 100 Millionen DM sowie der Einstellung des Strafverfahrens kam es 1970 zu einem Vergleich zwischen der Firma Grünenthal, der Bundesrepublik Deutschland und den Eltern der Geschädigten. Und erst im Dezember 2007 (50. Jahrestag nach der Einführung von Contergan) kam es zu ersten Gesprächen zwischen der Firma Grünenthal und dem Bundesverband Contergangeschädigter.

2. Gerichtsurteil in Flensburg 1992: “Menschen, die sich in einem Hotel in Urlaub befinden und sich durch Behinderte, die im Speisesaal gefüttert werden, Essensgeräusche von sich geben … gestört fühlen, können behindertenfreie Zonen und eine Reisekostenminderung verlangen.“

Bis zum Jahr 2020 –also heute – hat sich viel getan: Grundgesetz Artikel 3 Abs 3 (1994), UN-Behindertenrechts-Konvention (2009), Bundes-Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz (2002), Landes-Behinderten-Gleichstellungs-Gesetze und Kommunale Leitbilder (z. B. Kiel 2011) – oder gesetzliche Vorschriften, z. B. barrierefreier Ausbau des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) bis 2022.

Und dennoch: es werden z. B. aktuell Züge zwischen Hamburg, Lübeck, Fehmarn angeschafft, bei denen vom Einstieg bis zum Rollstuhlsitzplatz 3 Rampen mit je 15 % Gefälle überwunden werden müssen – nicht nur für Rollstuhlfahrende, sondern auch für Reisende mit schwerem Gepäck, Kinderwagen, Rollator, für blinde, sehbehinderte und gehbehinderte Menschen ist solch ein Gefälle gefährlich.

Und dennoch: Ende 2019 wird im Rahmen des geplanten Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz vom Bundesgesundheitsminister Spahn vorgeschlagen, dass Beatmungspatient*innen ausschließlich in Pflegeeinrichtungen versorgt werden.

Dies sind nur zwei Beispiele für diskriminierende Alltagserfahrungen, mit denen Menschen mit Behinderungen sich auseinandersetzen müssen.

FAZIT: Wir müssen weiterhin für Gleichstellung, Teilhabe, Autonomie und Mobilität kämpfen.
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